Aktuelle Studien und Erfahrungsberichte zur Wirkung von Weihrauch liefern so interessante Ergebnisse, dass man sich fragt: Warum hatten wir ihn in der westlichen Welt zwischenzeitlich als Heilmittel fast einmal vergessen?
Mit Weihrauch bezeichnen wir sowohl das intensiv duftende Räucherwerk als auch das Harz des Weihrauchbaums (botanisch: Boswellia). Ritzt man seine Rinde ein, so gibt er einen weißlichen Saft ab. Er trocknet an der Verletzungsstelle und kann von dort in zum Teil perlenartiger Form geerntet werden. Den Baum rettet das Harz bei Verletzungen seiner Rinde vor dem Zugrundegehen, indem es die betreffende Stelle abdichtet, das Eindringen von Mikroorganismen und Pilzen verhindert und womöglich auch noch durch seinen Duft schädliche Insekten abhält.
Wiederaufnahme des Weihrauchs ins Deutsche Arzneibuch
Weihrauch hat seit tausenden von Jahren eine kultische Bedeutung, so zum Beispiel in Ägypten („Schweiß der Götter“), in Arabien (Weihe für den Sonnengott) und in Israel2. Daneben schätzte man auch die ganz profanen Eigenschaften. Beim Einzug des Kaisers in eine Stadt huldigte man ihm mit Weihrauch und vertrieb damit gleichzeitig den Kloakengestank. Ähnlich überdeckte der Duft in der Kirche die Körpergerüche der Gemeinde, besonders wenn zum Beispiel viele Pilger an einem Wallfahrtsort zusammenkamen. Wahrscheinlich entfaltet der Weihrauch sogar eine zusätzliche Wirkung als Raum-Desinfektionsmittel und vermindert womöglich das Risiko für die Übertragung von Krankheiten.
Als Heilmittel blickt Weihrauch schon auf eine lange Tradition zurück. Von China über Indien und Arabien bis Europa hat man ihn gegen entzündliche Erkrankungen unterschiedlichster Art eingesetzt. Berühmte Ärzte verwendeten ihn, wie etwa Hippokrates. Sein Kollege Dioskurides beschrieb detailliert die Indikationen, darunter Gelenks-, Magen-Darm-, Atemwegs- und Hauterkrankungen2.
Die Klostermedizin des Mittelalters suchte in ihren Schriften den gewachsenen Wissensschatz der Heilkunde zu bewahren. Der reichte vom berühmten Arzt Avicenna aus Persien bis zur europäischen Antike. Beim Weihrauch wurden die Mönche sehr konkret und empfahlen im bekannten Lorscher Arzneibuch als „eine Luftröhrenarznei gegen Heiserkeit“ das folgende Kombinationspräparat3: 4 Drachmen Safran, 4 Drachmen Myrrhe, 2 Drachmen Weihrauch, 2 Drachmen Indische Narde, 4 Drachmen Zimtkassie, 2 Drachmen Terpentin, genügend Honig.
Noch das Deutsche Arzneibuch von 1872 beschreibt das Harz des Weihrauchbaumes in einer sogenannten Monographie* unter der pharmazeutischen Bezeichnung Olibanum. Doch verschwindet der Weihrauch im Laufe des 20. Jahrhunderts in der westlichen Welt als Heilmittel, bleibt allerdings in der Heiligen Messe kontinuierlich präsent. Vermutlich haben die Erfolge der synthetischen Entzündungshemmer (z.B. Acetylsalicylsäure, Ibuprofen) so sehr überzeugt, dass man auf Naturarznei meinte verzichten zu können.
Diese Einstellung hat sich inzwischen gewandelt, und im 7. Nachtrag des 5. Europäischen Arzneibuchs tauchte das Olibanum wieder auf – und zwar über die ayurvedische Medizin in Form des Indischen Weihrauchs4. Er heißt in Indien Salai guggal und nach der üblichen botanischen Bezeichnung Boswellia serrata. Gehandelt wird aber heute hauptsächlich die Art Boswellia carterii aus Somalia, dem Irak und dem Iran.
Moderne Wissenschaft klärt Zusammensetzung und Wirkung
Da es sich um einen Naturstoff handelt, unterscheidet sich die Zusammensetzung je nach Anbaugebiet, Boswellia-Sorte und Erntezeitpunkt. In Pionierarbeiten im ausgehenden 20. Jahrhunderts hat ein deutsches Apothekenlabor die Inhaltsstoffe unterschiedlicher Weihrauch-Sorten pharmazeutisch-analytisch getrennt und ihre Anteile einzeln bestimmt. Im Allgemeinen besteht Olibanum aus ätherischen Ölen (5-9 %), Schleimstoffen (25-30 %) und dem eigentlichen Harz (60-70 %)5.
Als die eigentlichen Wirkstoffe fungieren dabei die sogenannten Boswellia-Säuren. Sie greifen in den Arachidonsäurestoffwechsel ein, eine ebenso geniale wie riskante Erfindung der Evolution. Denn ein fehlgeleiteter Arachidonsäurestoffwechsel spielt eine unheilvolle Rolle bei der Entstehung schwerwiegender Erkrankungen6. Darum versuchen sich Forscher seit langem an einer medizinischen Feinsteuerung. Die Boswellia-Säuren des Weihrauchs wirken an einer anderen Stelle als Acetylsalicylsäure und Ibuprofen – nämlich dort, wo bestimmte enzymatische Prozesse („5-Lipoxygenase-Weg“) die Arachidonsäure zu speziellen Gewebshormonen verstoffwechseln („Leukotriene“). Diese wiederum sind an Entzündungs-Erkrankungen beteiligt (z.B. chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Asthma, Schuppenflechte, Rheumatoide Arthritis). Man weiß heute sogar, dass die beiden Weihrauch-Bestandteile AKBA und KBA dabei besonders wichtig sind (Acetyl-11-Keto-β-Boswelliasäure und 11-Keto-β-Boswelliasäure).
In einem Übersichtsartikel verweist Johannes Mosch darauf, dass die Wirkungen sich in verschiedenen Studien bestätigt haben2: Colitis-ulcerosa-Patienten zeigten nach sechswöchiger Einnahme eines Boswellia-serrata-Extrakts einen besseren Einfluss auf den Stuhl als Vergleichspatienten mit Sulfasalazin-Therapie (synthetisches Arzneimittel). Asthmapatienten wurde über sechs Wochen regelmäßig Weihrauchextrakt gegen akute Anfälle gegeben, wobei man bei drei Vierteln von ihnen einen deutlichen Rückgang der Atemnot und der Anzahl der Asthmaanfälle beobachtete. Auch konnte eine signifikante Verbesserung der Symptome bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis festgestellt werden.
Des Weiteren haben iranische Wissenschaftler das folgende Ergebnis erhalten: Bei Schlaganfall-Patienten mit erhöhten Entzündungswerten konnte nach einer einmonatigen Therapie mit Boswelliasäuren eine signifikante Senkung von Entzündungsmarkern im Blut und eine maßgebliche Erholung ihrer neurologischen Funktionen beobachtet werden – im Gegensatz zur Placebo-Kontrollgruppe7.
Darüber hinaus lobt Prof. Hermann P. T. Ammon, Verfasser eines Standardwerks über Weihrauch8, dessen gute Verträglichkeit bei langfristigem Gebrauch. Er berichtet unter anderem von Ärzten, denen Weihrauch-Gaben bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen eine Verminderung der Cortison-Dosen erlaubten, und von einem speziellen Kollegen aus Mannheim, der nach eigenen Angaben bereits sage und schreibe 6000 Patienten erfolgreich mit Weihrauch behandelt hat9.
Dies zeigt, wie groß das Potenzial dieses pflanzlichen Heilmittels sein kann. Der Erfolg wird sowohl vom Erkenntnisgewinn der modernen Medizin und Pharmazie wie von der Tendenz einer steigenden Zahl von Patienten nach einer naturnäheren Medikation getragen. Eine Wiederentdeckung des Weihrauchs war geradezu überfällig.
Literatur
- Hermann P.T. Ammon (Hrsg.): Weihrauch – Anwendung in der westlichen Medizin. Springer Verlag, Heidelberg 2018
- Johannes Mosch: Altbekannter Weihrauch – Vom Räucher- zum Arzneistoff. PTA heute 12(6); 2017: 100-103
- Galle-Hoffmann, U.: Weihrauch und Myrrhe. Mystische Harze. PTA heute 12(1997):1204-1209, wie zitiert in: Angelika Koch, Elke Hahn-Deinstrop: Weihrauch – ein traditionelles Naturheilmittel wird wieder aktuell. BIOforum 6 (1998): 352-357
- 4. 7. Nachtrag zur Ph. Eur. und Ergänzungslieferung DAB 2007. DAZ 2007, Nr. 45, S. 69, 07.11.2007; https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2007/daz-45-2007/7-nachtrag-zur-ph-eur-und-ergaenzungslieferung-dab-2007 (Zugriff am 22.6.2020)
- Angelika Koch, Elke Hahn-Deinstrop: Weihrauch – ein traditionelles Naturheilmittel wird wieder aktuell. BIOforum 6 (1998): 352-357
- Friedrich Marks: Der Stoffwechsel der Arachidonsäure. Biologie in unserer Zeit 30(6); 2000: 342-353
- Baram, S.M., Karima, S., Shateri, S. et al. Functional improvement and immune-inflammatory cytokines profile of ischaemic stroke patients after treatment with boswellic acids: a randomized, double-blind, placebo-controlled, pilot trial. Inflammopharmacol 27; 2019: 1101–1112
- Hermann P.T. Ammon (Hrsg.): Weihrauch – Anwendung in der westlichen Medizin. Springer Verlag, Heidelberg 2018
- Youtube-Video mit Prof. Hermann P.T. Ammon https://www.youtube.com/watch?v=ipZcfNae8Ek, 15.01.2018 (Zugriff am 22.6.2020)